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GEAB 156

Der monatliche Informationsbrief des Laboratoire européen d'Anticipation Politique (LEAP) - 15 Jun 2021

Global Britain-China 2021-2024: Die fundamentale systemische Rivalität

Während Biden die Anti-China-Rhetorik der USA abschwächt – indem er beispielsweise Trumps Maßnahmen gegen TikTok und WeChat[1] rückgängig macht – geht unser Team davon aus, dass bald eine viel grundlegendere systemische Rivalität deutlich wird: die zwischen Großbritannien und China. Und täuschen Sie sich nicht: Die Kräfte, die hier im Spiel sind, sind weit weniger einseitig, als es scheint. Tatsächlich ist Großbritannien derzeit die zentralste historische Macht in einem komplexen geopolitischen Gebäude, das sich aus einem transatlantischen Bündnis (das Biden und Johnson gerade mit der Atlantic Charta entstaubt haben[2], dem einzigen „Empire, auf dem die Sonne nie unterging“ (das sich gerade mit dem Commonwealth in voller Wiederbelebung befindet[3]) und einem geografischen Block zusammensetzt, dem das Vereinigte Königreich de facto immer noch angehört und zu dem es gewiss nicht sein letztes Wort gesprochen hat: der EU[4].

China-UK: Systemische Rivalität

Das GEAB-Team ist hier, um das Offensichtliche aufzurütteln. Dieser Artikel will zeigen, dass eher das Vereinigte Königreich als die Vereinigten Staaten Chinas wirklicher systemischer Rivale ist. Es ist nicht sonderlich originell, darauf hinzuweisen, dass die City of London beispielsweise das internationalste Finanzzentrum der Welt ist[5] (dank des berühmten Urknalls von 1986[6]) oder dass die Königin von England das einzige Staatsoberhaupt von 16 verschiedenen[7] Ländern ist. Stellen wir uns für einen Moment vor, was diese beiden Fakten für Auswirkungen auf den britischen Einflusses in der ganzen Welt haben…

Während die City zwischen der Krise 2008[8] und dem Brexit[9] viel Einfluss verloren hat und die britische Krone auf eine gewaltige Legitimationskrise[10] zusteuert, bleibt Englands globale DNA eine historische Tatsache, welches das Londoner Establishment genau in dem Moment wiederzubeleben beschloss, als China vor einem Jahrzehnt begann, seine internationalen Ziele zu formulieren.

Beide Länder befinden sich in einem ähnlichen Zyklus von globalem Expansionismus und tiefgreifender Transformation ihrer Systeme. Auch wenn andere Länder dieses Ziel ebenfalls verfolgen, sind nur wenige so weit fortgeschritten und so gut fundiert:

. Die Vereinigten Staaten befinden sich eher in einer Phase des Rückzugs. Die Logik des „America first“ bleibt auch unter Biden bestehen. Die gigantischen Finanzhilfen, die während der Pandemie beschlossen wurden, sollen für den Aufbau moderner Infrastruktur und eines modernen Sozialsystems[11] verwendet werden.

. Die EU ist immer noch ein notorischer geopolitischer Zwerg und riskiert – auch wenn sie derzeit aufzuwachen versucht – das auch zu bleiben. Zumindest so lange bis sie einen Weg findet, ihre Arbeitsweise entschlossen zu ändern und ihre zutiefst „machtfeindliche“ DNA zu transformieren.

. Russlands Ambitionen waren zum einen ohnehin nie global, sondern eher regional, vor allem aber werden sie seit 2014 entschlossen gebremst – egal was jemand sagt.

. Wer noch?

China und England jagen also auf demselben Gebiet, jedoch mit unterschiedlichen Regeln. Die beiden Länder haben auch eine gemeinsame Geschichte. Sie stammt aus einer anderen Ära des britischen Expansionismus, ist schmerzhaft und von Verrat geprägt (Opiumkrieg, Boxeraufstand, Hongkong, …) und die Erinnerung daran lebt gerade wieder auf[12]. China rächt sich an England, England kehrt auf die internationale Bühne zurück und reaktiviert seinen immensen internationalen Einfluss.

Lassen Sie sich nicht von der jeweiligen Größe dieser beiden Akteure täuschen: obwohl sehr unterschiedlich, sind beide geopolitische Giganten.

Direkte Konkurrenten in strategischen Sektoren

Beide sind Handelsriesen und ihre Finanzzentren sind gerade wegen ihrer gemeinsamen Geschichte viel stärker miteinander verflochten als die amerikanischen und chinesischen Zentren, die einen respektvolleren Abstand gehalten haben.

Im Jahr 2012 wurde eines der Flaggschiffe der britischen internationalen Finanzwelt, die London Metal Exchange (LME), von der Hongkonger Börse übernommen. 2019 richten die London Stock Exchange und die Shanghai Stock Exchange einen Stock Connect ein, der Börsengänge für internationale Investoren in China und chinesische Investoren international erleichtern soll. Vor dem Hintergrund der wachsenden Spannungen zwischen dem Westen und China sind diese Entwicklungen jedoch zunehmend problematisch, da sie zu Recht als die von den Chinesen eingeschlagenen Wege zur „Kolonisierung“ des Westens angesehen werden und als solche Eintrittspforten dringend geschlossen werden müssen.

Im Bereich der Rohstoffe haben wir im letzten Monat[13] das Dreiecksspiel gesehen, das derzeit zwischen Shanghai, London und Canberra um die Kontrolle und den Preis von Eisenerz gespielt wird, worum sowohl die LME als auch die SHFE[14] kämpfen. Tatsächlich ist es Shanghai gerade gelungen, den Anstieg der Eisenerzpreise abzuschwächen… aber das hat auch die Gewinne betroffen, die London und Canberra[15] damit gemacht haben.

Auch auf dem strategischen Kupfermarkt macht China seit 2020 international von sich reden: Gestärkt durch seine Position als Abnehmer von 50 % der Weltkupferproduktion hat es im vergangenen November Terminkontrakte auf das rote Metall[16] eingeführt.

Abb. 1 – Arbitrage und Kupferpreise – Quelle: LME-SHFE 2020

Damit bedroht China nun direkt die quasi-monopolistische Stellung Londons auf den globalen Rohstoffmärkten. Sicher ist, dass Großbritannien alles daran setzt, seine herausragende Stellung im Rohstoffbereich zu halten/zurückzugewinnen und dabei von den großen Infrastrukturplänen profitiert, die von den USA und Europa während der Pandemie gestartet wurden und die Handelsströme in Richtung Westen etwas neu ausbalancieren könnten.

Vom Brexit zur Wiederauferstehung des Commonwealth… oder das Gegenteil

Wir werden nicht nochmal auf die Details der Commonwealth-Strategie des Vereinigten Königreichs zurückkommen, die wir ausführlich in unserer Antizipation eines erfolgreichen Brexits im März 2018[17] oder in unserer Analyse des „britischen Trafalgar-Coups“ im Oktober 2019 behandelt haben[18]. Aber es ist Zeit für ein kleines Update zu diesem Strukturierungstrend der Zukunft.

Ehrlich gesagt ist unser Team nicht weit davon entfernt, sich zu fragen, ob der Brexit nicht ausschließlich mit dieser doppelten Antizipation/Bewusstheit seitens des britischen Establishments zusammenhängt:

. Die Königin ist nicht ewig: Diese besonders leicht zu formulierende Erwartung führt in den oberen Etagen des Staates zwangsläufig zu einer Menge Nachdenken. Aber der Commonwealth ist eng mit der Symbolik der britischen Krone verbunden. Elisabeth II. regiert immer noch über 16 Länder, darunter Australien, Kanada und Neuseeland. Doch ihr Reich schrumpft: 38 von 54 Ländern haben sie nicht mehr als Staatsoberhaupt, Jamaika könnte das nächste sein, das sich von der Krone löst.[19] Und vor allem: Was wird passieren, wenn Elisabeth nicht mehr da ist? Nach mehr als 70 Jahren der Herrschaft ist sie zum Symbol der britischen Krone geworden. Australien zum Beispiel scheint an der Dauerhaftigkeit der britischen Vormundschaft, selbst der symbolischen, über das Land zu zweifeln[20].

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Zusammenfassung

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