Riga, 28.-29. November 2006 – Der nächste Nato-Gipfel, der auf ehemaligem Territorium der Sowjetunion stattfinden wird, soll eigentlich ein Symbol des Erfolgs des nordatlantischen Verteidigungsbündnisses werden. Unter ungünstigen Umständen könnte dieses Nato-Treffen als der Moment in die Geschichte eingehen, an dem zwei gegenläufige Tendenzen in der Organisation so deutlich aufeinander prallten, dass sie das Bündniss mit in die aktuelle umfassende weltweite Krise hineinrissen. Der Gipfel von Riga würde damit nicht zum Symbol des Erfolgs des westlichen Verteidigungsbündnisses werden, sondern vielmehr für den“ Niedergang der westlichen Welt, wie sie nach der Nachkriegszeit entstanden war“ stehen.
Die wirtschaftlichen, finanziellen und währungspolitischen Aspekte stellen lediglich drei der sieben Elemente dieser Krise dar, die vom Forschungsteam von LEAP/E2020 bereits in der Februarausgabe des Global Europe Antizipation Bulletin angekündigt wurde. Zusätzlich dazu werden in diesem Jahr auch im Bereich der globalstrategischen und militärischen Zusammenarbeit zwischen EU und USA Spannungen auftreten, die nicht nur von der iranischen Nuklearpolitik verursacht werden, sondern darüber hinaus von drei weiteren wichtigen Faktoren: – die Schwiergkeiten bei der Entwicklung und Finanzierung des „Kampfflugzeugs des 21. Jahrhunderts“, le F35 Joint Strike Fighter (JSF); – die unterschiedliche Auffassungen von Europäern und Amerikanern über relevante Bedrohungen;- die Vertrauenskrise der europäischen öffentlichen Meinung und Politiker in die Fähigkeit der Vereinigten Staaten, die Nato effizient und verantwortungsvoll zu führen.
Das westliche Verteidigungsbündniss ist in schlechter Verfassung. Dies ist eine allgemein bekannte Tatsache, die die offiziellen Presseverlautbarungen nur schlecht zu leugnen vermögen; wofür die Nato eigentlich noch stehen soll und die Neubestimmung ihrer Aufgaben sind Themen, die immer wieder auf die Tagesordnung der transatlantischen Gipfel gesetzt werden müssen. Ihre schlechte Verfassung hat die wesentliche Ursache im Wegfall des Nato- Daseinsgrunds: der Kampf gegen den gemeinsamen Feind der Amerikaner und der Westeuropäer: die Sowjetunion. Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs weiß die Nato eigentlich nicht mehr so recht, wofür es sie noch gibt. Sie wird eingesetzt, um die Olympischen Spiele in Athen oder Turin zu sichern, um Hilfsgüter in die Dritte Welt zu transportieren oder um punktuell in begrenzten Krisensituationen eingesetzt zu werden (Kosovo oder Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Afghanistan); Aber in den beiden großen kriegerischen Auseinandersetzungen der letzten Jahre wurde ihr keine Rolle anvertraut. Die Vereinigten Staaten war gegen den Einsatz der Nato beim Angriff auf Afghanistan in den Nachbeben des 11. September 2001 (obwohl die Europäer dies angeboten hatten). Und die Europäer verhinderten den Nato- Einsatz bei der Invasion des Iraks (den die Amerikaner beantragt hatten). Ein militärisches Bündnis, das im kriegerischen Ernstfall nicht zum Einsatz kommt, weil entweder der eine oder der andere der Bündnisgenossen seinen Einsatz verhindert, hat seinen Daseinsgrund als Verteidigungsbündnis verloren. Damit ist an der Zeit, die Frage zu stellen, ob die Nato nicht still und leise dabei ist, sich in etwas Neues zu verwandeln…
Für mehr, GEAB 4 / 16.04.2006