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Der monatliche Informationsbrief des Laboratoire européen d'Anticipation Politique (LEAP) - 15 Apr 2021
Pressemitteilung

In der Fallgrube des sich in den letzten Jahren verschärfenden Krieges zwischen den USA und China, könnte der Amtsantritts Bidens im Weißen Haus und seine Strategie, zur „Eindämmung“ der chinesischen Macht ein Lager von „Alliierten“ um Amerika zu scharen[1], die Europäer in Versuchung bringen, zu glauben, dass das westliche Lager gewinnen wird.

Dieses Gefühl wird durch den Nebelschleier verstärkt, den ein amerikanisch-zentriertes Informationssystem zwischen uns Westlern und nicht nur China, sondern dem Rest der Welt errichtet. Wenn man allerdings die Geschehnisse in der Anderen Welt objektiver betrachtet, gibt es allen Grund, an den Chancen, den (Handels-, ideologischen, technologischen oder sogar militärischen) Krieg zu gewinnen, den Amerika China als Antwort auf sein (im Moment noch) friedliches Projekt der Ko-Entwicklung aufdrängt, zu zweifeln.

Vergessen wir nicht, dass die amerikanische strategische Bevormundung Europas das Ergebnis unserer Irrungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist. Heute befindet sich Europa in einer relativ starken Position und ist in der Lage, seine strategische Autonomie durch ein geschicktes Spiel mit der Dualität der aktuellen Weltmacht zu verhandeln. Es wäre bedauerlich, wenn wir uns stattdessen für eine Seite entscheiden müssten, was uns in neue Irrungen führen  und in einer Situation der strategischen Schwäche enden würde, diesmal zugunsten von … China.

Zur Untermauerung dieser Warnung wird in diesem Artikel die Argumentation präsentiert, dass es für Amerika sehr schwierig sein wird, den Krieg gegen China zu gewinnen, den es seinen Verbündeten aufdrängt.

Amerika-China: Allgemeine Betrachtung des Kräfteverhältnisses

Werfen wir zunächst einen genaueren Blick auf den Vergleich zwischen China und den USA mir Hilfe dieser Infografik aus der ausgezeichneten Webseite VisualCapitalist.

Abbildung 1 – Die beiden Volkswirtschaften, USA und China. Quelle: Visual Capitalist.

Die wirtschaftlichen Schmerzen einer Abkopplung von China in Form einer Scheidung

Amerika verliert wertvolle Zeit und zieht seine „Verbündeten“ in ein schmerzhaftes strategisches Chaos.

Was die EU betrifft: Wenn die NATO-Russland-Krise von 2014 der europäischen Wirtschaft schwere Verluste zugefügt hat[2], was soll man dann zu den Sanktionen gegen die chinesischen strategischen Unternehmen sagen? Wie wir gesehen haben:

. sieht sich Europa in einer Zeit, in der es sein Digitalisierungsprojekt in Gang setzt, mit einem Mangel an Halbleitern konfrontiert[3]

. riskiert Europa, dass sein Parlament das globale Abkommen über Investitionen zwischen der EU und China ablehnt[4], welches es aus einer Position der Stärke heraus ausgehandelt hat, wobei es alle gewünschten Garantien[5] von einem China erhalten hat, das darauf bedacht war, Europa am Vorabend des demokratischen Wechsels in den USA nicht zu verstimmen (dieses Abkommen wurde insbesondere geschlossen, um den Zugang europäischer Investoren nach China zu erleichtern und das Investitionsgleichgewicht zwischen der EU und China zu wahren[6])

. könnte Europa miterleben, dass die Technologietransfers aufgrund von nationalistischen Spannungen zum Erliegen kommen[7] (nachdem es 30 Jahre lang von den USA und China ausgeplündert wurde)

. riskiert Europa, dass sein Programm für erneuerbare Energien gebremst wird, wenn es nicht mehr an chinesische Solarpaneele, seltene Erden und elektronische Komponenten für Windturbinen herankommt[8]

. usw. …

Für sich entwickelnde und Schwellenländer stellen die US-Sanktionen gegen China eine sehr schlechte Nachricht dar. In den letzten 10 Jahren haben diese Länder beeindruckende Entwicklungswege eingeschlagen, die sie zum einen direkt China zu verdanken haben (sowohl durch seine Investitionen als auch durch den neuen, von ihm propagierten Entwicklungsansatz[9]) und zum anderen der Vielfalt der Geldgeber, die sich vor ihren Haustüren drängen (also indirekt China).

Abbildung 2 – Entwicklung des chinesischen Handels in den letzten 20 Jahren. Quelle: IHS Markit, 2020

Es ist zwar unbestreitbar, dass der Planet lernen muss, sich aus seiner Abhängigkeit von China zu entwöhnen, aber das wird nur in Zusammenarbeit mit China gelingen. So schätzt eine amerikanische Studie die Kosten einer harten wirtschaftlichen Entkopplung der beiden Länder für die US-Wirtschaft auf 1 Billion Dollar[10]. Kann sich Amerika das erlauben?

Die Gefahren der westlichen Blindheit

Die Westler verstehen sehr wohl, dass China sich vom Status einer Fabrik zu dem einer Macht entwickelt, die die eigene bedroht; aber sie sind nicht wachsam gegenüber der Attraktivität des chinesischen Modells in den Augen eines wachsenden Teils des Planeten.

Man kann feststellen, dass das Image Chinas unter der westlichen medialen Kriegsmaschinerie leidet, deren Feuer sich seit 2018 verstärkt[11], wie die Umfragen von Pew Research zeigen[12]. Bei näherer Betrachtung ist dieses negative Image aber auch darauf zurückzuführen, dass die öffentliche Meinung China inzwischen als die größte Macht der Welt sieht … noch vor den Vereinigten Staaten.

Die Anti-China-Rhetorik ist eine neue Ursache für die Entkopplung zwischen pragmatischen Regierungen, die zunehmend erkennen müssen, dass sie es sich nicht leisten können, sich von China scheiden zu lassen, einerseits und ihren von den Medien und den gewählten Abgeordneten angetriebenen öffentlichen Meinungen andererseits. Das ist eine sehr ernste Bedrohung für den Frieden oder sogar die Demokratie. Wer Wind sät, wird Sturm ernten … Hoffen wir, dass es noch möglich ist, diese Debatte in ein rationales Fahrwasser zu führen …

China als Vorbild

Wer sich die Mühe macht, China objektiv zu beobachten, sieht eine Maschine, die im „Projektmodus“ arbeitet[13], hypereffizient in Bezug auf strategische Visionen, die Berücksichtigung globaler Realitäten, das Treffen und Umsetzen von Entscheidungen, wirtschaftlichen Erfolg, Change Management, Modernisierung, das Erfinden neuer Modelle, Finanzierungskapazität …

Fünf-Jahres-Pläne[14], Führungsprinzipien[15], MIC 2025[16], Vision 2035[17], urbane Megacluster[18], Umweltprogramm 2060[19], Bildungsniveau der Bevölkerungen[20], Armutsbekämpfung[21], Schaffung von Finanzmärkten[22], Ingangsetzen von Entwicklungsschienen (OBOR)[23], Eröffnung der größten Freihandelszone der Welt (RCEP)[24], Schaffung multilateraler Banken[25], globale elektrische Infrastrukturen[26], strikte Anwendung von Antimonopolgesetzen[27] … im Vergleich zum Westen, der sich schwer tut, die geringste Entscheidung zu treffen, erscheint China immer mehr als der verlässlichere Akteur. Und Zuverlässigkeit ist das, was die Welt heute braucht.

Ein „sozialistisches“ Land im chinesischen Stil: Weit entfernt von unserem Blick hat die Kommunistische Partei Chinas gerade ihren 14. Fünfjahresplan für den Zeitraum 2021-2025 vorgestellt. Es geht um den Aufbau eines „sozialistischen Rechtsstaates mit modernen chinesischen Merkmalen in allen Belangen“ und einer geplanten vollständigen Umsetzung im Jahr 2035[28]. China will jetzt Modell sein[29]. Und wenn der Westen jetzt nicht seine ganze Energie darauf verwendet, das eigene Modell zu überdenken, anstatt das der anderen zu kritisieren, müssen wir bittere Misserfolge antizipieren.

Konfrontiert mit dem Gegensatz „Demokratie versus Totalitarismus“, antwortet China mit „Kapitalismus versus Sozialismus“. Dabei steht es entschlossen auf der Seite der Bevölkerungen gegen die Reichen, womit es glaubwürdig ist, wenn man bedenkt, dass es in 40 Jahren Hunderte von Millionen Menschen aus der Armut befreit hat[30] und dass sein Projekt der menschlichen Entwicklung über seine Grenzen hinausgeht (Seidenstraßen[31], Finanzierung von Infrastrukturen in Drittländern[32], …), ganz zu schweigen von der Rolle, die China bei Impfkampagnen in sich entwickelnden Ländern spielt[33], wo das Covax-Programm der WHO am Ende zu sein scheint[34]. Durch die Kombination der Begriffe „Moderne“ und „Sozialismus“ wird China wahrscheinlich dazu beitragen, eine verhöhnte oder vom „rechten Weg“ abgekommene Linke genau in dem Moment wiederzubeleben, in dem die sozialen Ungleichheiten unter dem wirtschaftlichen Effekt der Pandemie weiter zugenommen haben. Genug, um Europäer und Amerikaner echt zu beunruhigen …

Und sogar eine „Demokratie“ bis 2025: Xi Jinping verweist darauf, dass China sich bereits als eine Demokratie betrachtet, welche er in Englisch als „whole-process democracy“ bezeichnet, bei der jede gesetzgeberische Entscheidung das Ergebnis eines deliberativen Prozesses ist, der sicherstellt, dass die getroffenen Entscheidungen fundiert und demokratisch sind[35]. Durch die Bekräftigung, dass die Demokratie nicht vollständig ist, wenn das Volk nur das Recht zu wählen ohne das Recht auf eine breite Beteiligung hat, positioniert China sich als vollwertiger demokratischer Akteur und eröffnet die Debatte über zukünftige Modelle auch in diesem Bereich.

Auch hier tut der Westen gut daran, diese Positionierung Chinas nicht auf die leichte Schulter zu nehmen, die so weit von dem beruhigenden Bild entfernt ist, das er von diesem Land hat (das „totalitäre China“ kann die „freie Welt“ nicht bedrohen). Auch die weite Welt der Schwellen- und sich entwickelnden Länder hat einen distanzierten Blick auf die konkreten Ergebnisse der beiden konkurrierenden „demokratischen“ Modelle … und was sie bei der Anwendung einfacher Kriterien wie Frieden, Ordnung und Wohlstand sehen, ist nicht zu unserem Vorteil[36] … Denken wir daran, dass wir nicht mehr lange überzeugend sein werden, wenn wir Demokratie mit Ineffizienz, politischer Lähmung und Unzufriedenheit in der Bevölkerung assoziieren[37].

Wir sehen sogar ein großes Risiko für den Westen im gegenwärtigen antichinesischen doktrinären Kontext: Es wächst die Gefahr, dass dadurch, dass der Westen den chinesischer Erfolg dem Fehlen von Demokratie zuschreibt, ein Projekt der Beseitigung dieser Einschränkung im Westen genährt wird, um wettbewerbsfähig zu bleiben (was übrigens bereits voll im Gang ist[38]). Ganz zu schweigen davon, dass geopolitische Spannungen nie gut für Freiheit und Demokratie sind …

Stattdessen hat es unser Team immer als gesünder empfunden, von der Prämisse auszugehen, dass die Demokratie weltweit in der Krise steckt und dass wir die Wege zur Neuerfindung durch den Austausch von Erfahrungen und durch Debatten finden werden, jeder entsprechend seiner kulturellen und historischen Gegebenheiten. So werden wir die Fortschritte bei der Reform der amerikanischen, europäischen und chinesischen Demokratien bis 2024-2025 weiter beobachten. In der Tat ist 2024 das Jahr, in dem sowohl in den USA als auch in Europa Wahlen stattfinden, und 2025 der Horizont, den sich China gesetzt hat, um seinen demokratischen und „sozialistischen Rechtsstaat“ umzusetzen. Alle drei Mächte sind bestrebt, ihre unvollkommenen Modelle zu reformieren[39]. Wem wird es gelingen? …

Amerika-China: Wie viele Divisionen?

Wenn das chinesische Lager auf den ersten Blick schmalbrüstig erscheint, sollten wir nicht vergessen, dass die Chinesen allein 1,5 Milliarden Menschen repräsentieren.

Auf der westlichen Seite sind wir, nachdem wir die USA, die EU, Japan und Kanada addiert haben, erst bei 1 Milliarde … Damit versteht man das unbedingte Interesse Amerikas an Indien und seinen 1,2 Milliarden Menschen besser … Aber wenn Indien und China atavistische Feinde sind, sind sie auch Nachbarn, und der sehr nationalistische Modi will nicht auf einmal die Unabhängigkeit, die sein Land durch die Zusammenarbeit mit beiden Seiten gewonnen hat, verlieren[40]. Das Gleiche gilt für Afrika, das derzeit an allen Fronten spielt und recht gut damit fährt.

Es ist auch wichtig zu verstehen, dass China dabei ist, sein Lager zu erfinden. Wie seine Weltraumpolitik zeigt, werden seine Verbündeten in diesem Bereich die Länder sein, denen es beim Zugang zum Weltraum hilft (Afrika, Argentinien, …)[41]. Diese Methode wird sicherlich auch in vielen anderen Bereichen Anwendung finden. Das ist auch der Grund, warum China ein strategisches Interesse an der globalen wirtschaftlichen Entwicklung hat: Es schafft sich einen Pool von Verbündeten. Und das ist eine Win-Win-Situation!

Es ist auch wichtig, eine Tatsache der kollektiven Psychologie zu bedenken, die gegen Amerika/den Westen arbeitet: Für die Schwellen- oder sich entwickelnden Länder ist China dasjenige aus ihrer Gruppe, das Erfolg hat. Für die arabischen, afrikanischen, asiatischen, … Länder stellt China eine große Hoffnung dar. Es ist die erste Veranschaulichung seit Menschengedenken, dass es möglich ist, nicht westlich und erfolgreich zu sein[42], und es bietet diesen Ländern an, ihnen dabei zu helfen, es ihm gleichzutun: 20 Jahre lang hart zu arbeiten und die Früchte ernten.

Was Afrika betrifft, so sind wir seit langem der Meinung, dass seine Entwicklung, wie bei allen Mächten, die geboren werden, mit einer „Renaissance/Wiedergeburt“ einhergehen wird, die darin besteht, einen eigenen mythisch-historischen Korpus zu schaffen, der im besonderen Fall des schwarzen Kontinents eine massive und vielleicht gewaltsame Ablehnung des europäischen Teils seiner Geschichte mit sich bringen wird[43]. Die amerikanische Bewegung „Black lives matter“, die in loser Formation den Atlantik überquert, um sich in den Köpfen der Afrikaner in Afrika und Europa festzusetzen, scheint uns geeignet, die Lunte anzuzünden. Wenn wir mit dieser düsteren Vorahnung Recht haben, ist das keine sehr gute Nachricht für das amerikanische Kalkül, Afrika über den europäischen Verbündeten in sein Lager zu holen.

Was Saudi-Arabien, die VAE, … betrifft, so haben wir bereits gesehen, dass sie alle bei allen Gelegenheiten Abkommen mit China unterzeichnen. Aramco hat gerade die chinesische Energiesicherheit ganz oben auf seine Agenda gesetzt[44]. Der chinesische und der saudische Außenminister haben erst kürzlich über die Stärkung der bilateralen Beziehungen gesprochen[45]. Die VAE werden von einigen als auf die chinesische Seite gewechselt angesehen[46].

Man beachte außerdem, dass die muslimischen Länder sich entschieden haben, nicht in die uigurische Frage einzugreifen[47] … angefangen bei Xinjiangs Nachbarstaaten Kirgisistan und Tadschikistan[48] … zweifellos, weil sie das der Terrorwelle und dem Unabhängigkeitskrieg vorziehen, der sich in den 2015er Jahren[49] an ihren Grenzen abzeichnete.

Die Schuldenlast der Schwellen- und sich entwickelnden Länder

Während die Pandemie Chinas Image beschädigt hat als Land am Ursprung des Problems, arbeitet sein Umgang mit der Krise gegen den Westen. Doch damit nicht genug: Die riesigen Konjunkturprogramme und die unkonventionelle Geldpolitik, die Europa und die USA sich bewilligen konnten, werden bald auf den schwächeren Volkswirtschaften lasten, obwohl sie anfangs weniger von der Krise betroffen waren (siehe nächste Abbildung).

Abbildung 3 – Auswirkungen der Pandemie auf verschiedene Volkswirtschaften. Quelle: IWF / FT

Die Inflation, die diese Programme auszulösen beginnen, wird sich zunächst auf die Aktienmärkte und dann auf die sich entwickelnden Länder ausbreiten, bevor sie schließlich die Gesellschaften an der Quelle des Problems trifft. Brasilien beispielsweise verzeichnete im März eine Inflation von 6,1%, während seine Zentralbank eine Obergrenze von 5,25% festgelegt hatte und mit Sicherheit gezwungen sein wird, die Leitzinsen anzuheben, was die Aussichten auf eine wirtschaftliche Erholung beeinträchtigt und die Schuldenlast des ohnehin schon in großen Schwierigkeiten steckenden Landes noch erhöht[50]. Es ist interessant, das Beispiel dieses Landes zu nehmen, das 2009 auf die BRICS setzte, bevor es sich in den Fängen pro-amerikanischer Regierungen wiederfand (Temer, dann Bolsonaro). Trotzdem konnte sich Brasilien nicht von China, von dem seine Agrarexporte abhängen, abschotten[51]. Heute ist Bolsonaros „bester Freund“ Trump nicht mehr im Weißen Haus[52] und China ist ein unverzichtbarer Partner geblieben … Wenn die Brasilianer beginnen, den Zusammenhang zwischen ihrer Inflation und den egozentrischen, pharaonischen Plänen der Amerikaner zu erkennen, könnte es nicht mehr lange dauern, bis das Land die BRICS-Dynamik wieder aufnimmt … ob unter einer Lula-Regierung im Jahr 2022 oder unter Bolsonaro selbst[53].

Abgesehen von Brasilien: wir glauben, dass die Schocks, die die westlichen Rettungsprogramme auf die Schwellen- und sich entwickelnden Länder ausüben werden, letztere näher an diejenige der drei großen Volkswirtschaften, die als die stabilste erscheinen wird, heranführen werden …

Ein westliches Lager, das viel gespaltener ist, als es scheint

Dieses letzte Beispiel zeigt, dass die Länder, die Amerika in den letzten Jahren für sich gewinnen konnte, alles andere als gesetzt sind. Aber das ist noch nicht alles: Das Lager, das Biden derzeit um sich schart und das ihm erlaubt, wundersame Argumente des BIP (USA + EU + JP + CA + NZ = 47 Billionen USD vs. CN + UK = 16 Billionen USD), des Prestiges, des Militärbudgets (im Westen fast 1 Billion USD, ohne Saudi-Arabien einzuberechnen, … im Osten 300 Milliarden USD), … aneinander zu reihen, ist in Wirklichkeit sehr gespalten[54].

Abbildung 4 – Militärausgaben nach Ländern. Quelle: Wikipedia, 2019

Dieses Lager der so genannten „Demokratien“ hat, während jeder weiß, dass sich diese Demokratien in einer Krise befinden und scheinbar nichts als Uneinigkeit hervorbringen, bereits Schwierigkeiten, im inneren Entscheidungen zu treffen. Aber was ist mit ihrer Fähigkeit, gemeinsame Entscheidungen zu treffen?

Die EU ist ein Beispiel für die Grenzen, die das von ihr im Zeitraum 1952-1992 erfundene Modell der Co-Governance inzwischen erreicht hat. In den letzten Wochen ist viel über das FCAS (Future Combat Air System[55]) gesprochen worden und dieses veranschaulicht die Komplexität der internationalen Zusammenarbeit. Das Projekt befindet sich in einer schmerzhaften Existenzkrise, die durch die deutsch-französischen Querelen zwischen Dassault und Airbus entstanden ist und tiefgreifende nationalistische Vorbehalte gegenüber fortschrittlichen Technologien und Verteidigungsgeheimnissen offenbart. Die Tatsache, dass Airbus, das Symbol der erfolgreichen innereuropäischen Zusammenarbeit in den siebziger und achtziger Jahren, in diese Krise verwickelt ist, ist ziemlich beunruhigend[56]. Das Problem ist, dass in der ultra-konfliktreichen Welt, die durch den Krieg zwischen den USA und China eingeleitet wurde, jeder jedem misstraut, was nicht gut für Transparenz, Kooperation und Weitblick ist.

Manch einer hegt wohl die Hoffnung, dass die Rückkehr Amerikas den Westlern einen neuen Kopf geben wird. In Wirklichkeit fürchtet das gebrannte Kind sogar etwas, das aussieht wie Feuer: Die Europäer haben trotz „Biden über alles!“ nicht aufgehört, ein wachsendes Misstrauen gegenüber Amerika zu hegen, mindestens seit 2003 und dem Irak-Krieg; und Trump hat einen idealen Vorwand geliefert, um damit zu beginnen, dieses Misstrauen in Strategie umzusetzen. Derzeit sind die Verbündeten bereit, ihre Reihen zu schließen, um ihre Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den Chinesen zu erhöhen, aber kein Land ist bereit, mehr Souveränität an ein bereits übergriffiges Amerika abzugeben. Vergessen wir nicht, dass Shinzo Abes Japan[57] alles getan hat, um seine Verfassung zu reformieren mit dem Ziel, seine strategische Autonomie wiederzuerlangen – zwar vergeblich, aber es ist nicht die Art von Projekt, das man leichtfertig aufgibt. Die Europäer haben schon immer die gleiche Vision gehabt, eine europäische Verteidigung innerhalb oder außerhalb der NATO aufzubauen …

In der Realität kommen Bidens Verbündete nur zu ihm in der Hoffnung, ihre Freiheit im Austausch für ihre Unterstützung zu bekommen …

Was ist mit Europa?

Wenn Europa zu antizipieren beginnt, dass seine ehemaligen Kolonien möglicherweise weg von ihm in Richtung China driften, wenn es beobachtet, dass das berühmte verbündete Lager auf der Stelle tritt, wenn es sieht, dass die amerikanische Strategie nur dem eigenen nationalen Interesse auf Kosten der Interessen seiner Partner dient, und vor allem, wenn sich das einzige Projekt der Allianz als die Eindämmung eines Chinas, das es dringend braucht, erweist … wird es vielleicht als letzter das Schiff verlassen, aber es wird es am Ende auch verlassen.

Den Test für die Dauerhaftigkeit des Bekenntnisses zu Amerika könnte das vielzitierte Projekt der Besteuerung der multinationalen Konzerne liefern, das Biden soeben angekündigt hat, als sei die Idee seine eigene[58]. Nachdem er die Peitsche geschwungen und die Verbündeten in ein Konfrontationsprojekt mit China geführt hat – nicht ohne zuvor die Rückkehr der US-Truppen nach Deutschland abgesagt zu haben – ist das Besteuerungsprojekt das Zuckerbrot, das den Europäern unter die Nase gehalten wird, die seit fast zwei Jahren an dem Thema arbeiten und es zweifellos begrüßen würden, wenn sich die USA ihren Bemühungen anschließen würden. Aber wenn die Europäer sehen, dass die USA nicht in der Lage sind, die Entscheidungen ihres Kongresses durchzusetzen, wird es nicht lange dauern, bis sie alles fallen lassen.

Ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zur europäischen Positionierung im Hinblick auf den US-China-Konflikt wird die Bundestagswahl im September sein. In der Tat ist es Merkels Deutschland, das in den letzten Jahren die Verbindung mit dem Osten um jeden Preis aufrecht erhalten hat (NordStream II und das EU-China-Investitionsabkommen). Aber wahrscheinlich wird eine zutiefst anti-russische und anti-chinesische grüne Regierung[59] aus der Wahl hervorgehen. Wenn das der Fall ist, wird die EU wahrscheinlich noch tiefer in ihrem atavistischen Atlantizismus versinken … es sei denn, die Länder, die sich derzeit hinter Deutschland verstecken, erheben ihre Stimmen … Oder die Grünen werden im September nicht zur dominierenden Kraft.

Wenn es den USA selbst nicht gelingt, das Spiel mit China zu beruhigen, müssen wir antizipieren, dass Europa in naher Zukunft als unmittelbare Folge dieser Konfrontation sehr ernsthaft in Bedrängnis geraten wird und dass es sich schwer tun wird, sich aus dieser Situation herauszuwinden.

Von der Konfrontationsfalle zum Ende der EU

Es ist wahrscheinlich, dass sich viele westliche Staats- und Regierungschefs des Risikos bewusst sind, das diese unnötige Konfrontation für den Westen bedeutet. Immerhin hat Merkels Deutschland alle Anstrengungen unternommen, um das Investitionsabkommen zwischen der EU und China vor Bidens Amtsantritt unter Dach und Fach zu bringen, in Antizipation der unvermeidlichen transatlantischen Falle, die sich dann über der EU schließen würde[60].

Abgesehen davon könnte Biden selbst in die Anti-China-Rhetorik verstrickt sein[61], die die Demokratische Partei in den vier Jahren von Trumps Amtszeit so sehr genährt hat (den sie ständig beschuldigt haben, pro-russisch, pro-chinesisch, ein Vaterlandsverräter[62]… zu sein). Wie können wir jetzt, da die öffentliche Meinung, der Kongress und die Presse so in Fahrt gebracht sind, wieder zu einer vernünftigen Außenpolitik zurückkehren, die auf die Zukunft und den Frieden baut?

Die EU, die kein systemischer Konkurrent Chinas ist, könnte die Lage beruhigen. Aber es ist klar, dass die Wahl Bidens die Situation aufgewühlt hat und wieder Ungleichgewicht in die globale Positionierung der EU auf der Seite einer transatlantischen Achse unter Washingtoner Führung bringt.

Jedoch glauben wir aus all den in diesem Artikel genannten Gründen, dass die EU spätestens 2025 auseinanderfallen wird, wenn die USA Europa weiterhin in ihre Konfrontation hineinziehen. Schon 2016[63] haben wir antizipiert, dass die EU die Krise der transatlantischen Beziehung nicht überstehen wird – sei es eine des Zusammenbruchs (Trump) oder des Exzesses (Biden).

Die Aussicht auf das Auseinanderbrechen einer EU, deren Konfiguration ihre Mitgliedstaaten daran hindert, sich der aus dem Osten kommenden wirtschaftlichen Dynamik anzunähern, wird immer deutlicher. Die Niederländer und die Spanier fordern bereits die Aufhebung der Regeln der einstimmigen Beschlussfassung[64]. Die Europäische Kommission, der Europäische Rat … sind seit langem für dieser Forderung. Aber hat die EU ein politisches System, das in der Lage ist, diese Reformen durchzuführen? Hat sie noch die Zeit, auf die Konferenz über die Zukunft Europas zu warten, um (vielleicht) die Entstehung transeuropäischer politischer Parteien herbeizuführen, die es (vielleicht) schaffen, genügend Sitze im Parlament von 2024 zu erlangen und (vielleicht) dahin gelangen, Volksabstimmungen zu lancieren, auf die die europäischen Bürger (vielleicht) in informierter Weise reagieren können? Oder werden sich die Mitgliedsstaaten entschließen, massenhaft von Bord zu gehen, um einen neuen gesellschaftlichen Vertrag abzuschließen?

Die veränderte Lage mit China erfordert große Veränderungen in der europäischen Entscheidungsstruktur, wenn sie einen dritten Weg durchsetzen will, der verhindert, dass sich die Welt entscheiden muss, ob sie amerikanisch oder chinesisch werden will.

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[1]  Quelle: WallStreetJournal, 06/01/2021

[2]  Quelle: Vienna Institute for International Economic Studies, 20/02/2019

[3]  Quelle: ‘Chip Wars’: US, China and the battle for semiconductor supremacy, TRTWorld, 16/03/2021

[4]  Quelle: China Briefing, 26/03/2021

[5]  Quelle: Europäische Kommission, 30/12/2020

[6]  Man versteht dann, welchen Schaden die ideologischen Positionen der zwischengeschalteten Strukturen (Medien, Parlamente) für die Interessen der Europäer haben. Quelle : Merics, 17/04/2018

[7]  Transfers, die das globale Investitionsabkommen ankurbeln würde … Quelle: NatLawReview, 14/01/2021

[8]  Quelle: Euractiv, 05/10/2020

[9]  Quelle: How China is reshaping International Development, Carnegie Endowment, 08/01/2020

[10]   Quelle: CNBC, 18/02/2021

[11]   Interessant, die Antizipation zu lesen, die The Diplomat im Jahr 2010 gemacht hat (eine Publikation, das immer ausgewogene Artikel zu diesem Thema veröffentlicht, Diplomatie verpflichtet …). Quelle: The Diplomat, 10/05/2010

[12]   Quelle: PewResearch, 06/10/2020

[13]   In vielerlei Hinsicht wird China wie ein Unternehmen geführt.

[14]   Quelle: SouthChinaMorningPost, 25/05/2020

[15]    Quelle: IEDP, 07/01/2018

[16]    Quelle: China Briefing, 28/12/2018

[17]    Quelle: GlobalTimes, 29/10/2020

[18]    Quelle: ChinaBriefing, 25/10/2018

[19]    Quelle: BBC, 22/09/2020

[20]   Quelle: CSIS

[21]   Quelle: AA, 05/12/2020

[22]   Quelle: Shine, 26/09/2020

[23]   Quelle: OECD, 2018

[24]   Quelle: Nikkei, 05.01.2021

[25]   Quelle: NUPI, 08/2018

[26]   Quelle: IEEESpectrum, 21/02/2019

[27]   Sehr gute Analyse von Pekings Geldstrafe gegen Alibaba. Quelle: SouthChinaMorningPost, 11/04/2021

[28]   Quelle: XinhuaNet, 11/03/2021

[29]   Quelle: CGTN, 13/05/2020

[30]   Quelle: BBC, 28/02/2021

[31]   Quellen: OECD, 2018; Council on Foreign Relations, 28/01/2020

[32]   Zum Beispiel in Afrika über die AIIB (Asian Infrastructure Investment Bank): AIIB, 28/06/2020; aber auch in Südamerika: CEPAL/UN, 2020.

[33]   Quelle: Deutsche Welle, 05/02/2021

[34]   Quelle: BBC, 09/04/2021 … aber es ist ziemlich schwierig, die Impfungs-Mythen und -Realitäten im Pandemie-Krieg zwischen den Westlern und den Chinesen klar zu durchschauen (vgl. Financial Times, 24/03/2021). Man liest buchstäblich alles und das Gegenteil von allem.

[35]   Quelle: CCTV/Xinhua, 03/09/2021

[36]   Wir hatten bereits gesehen, dass andere Länder, die eine Demokratisierung anstreben, aber mehr als alles andere das westliche Modell fürchten, China mit Aufmerksamkeit beobachten, wie zum Beispiel Saudi-Arabien. Quelle: Hoover Institution, 22/04/219

[37]   Das chinesische Modell scheint die KPCh als eine Art Administration zu sehen, die gesetzgeberische Entscheidungen durchführt, die nach diesen Prinzipien der „whole-process-democracy“ auf der Grundlage von Konsultation und Konsensbildung durch Deliberation getroffen werden … was tatsächlich dem ähnelt, was insbesondere Europa allmählich einführt: Technokraten in exekutiven Funktionen als Antwort auf die Hyperkomplexität (Draghi, Macron, usw. … sogar „Populisten“) und Experimente mit verschiedenen und vielfältigen Konsultationsprozessen, damit sich die Bürger in den Entscheidungen wiederfinden. Der Erfolg wird davon abhängen, ob die Legislativen in der Lage sind, sich mit Bürgerberatungsprozessen zu verbinden ..

[38]   Wie zum Beispiel dieser Artikel zur Meinungsfreiheit zeigt. Quelle: Time, 24/01/2020

[39]   USA (Quelle: Centre for American Progress, 10/02/2021); EU (Quelle: Europäisches Parlament, 26/11/2020); China (Quelle: Xinhuanet, 11/03/2021)

[40]   Quelle: MoneyControl, 20/03/2021

[41]   Siehe Artikel zu diesem Thema in dieser Ausgabe.

[42]   Selbst der Erfolg Japans vor 40 Jahren stellte eine westliche Jagdtrophäe dar, da sich das Land durch seinen Erfolg dem westlichen Lager anschloss und dessen Merkmale annahm.

[43]   Ein gutes Beispiel unter vielen. Quelle: The Guardian, 12/11/2017

[44]   Quelle: Reuters, 21/03/2021

[45]   Quelle: China.org, 25/03/2021

[46]   Quelle: MiddleEastEye, 01/10/2020

[47]   Quellen: The Guardian, 04/07/2020; SouthChinaMorningPost, 06/04/2021

[48]   Quelle: RFERL, 22/09/2020

[49]   Interessant zu sehen, wie das Thema des uigurischen Terrorismus vom US-China-Kongressausschuss im Jahr 2016 behandelt wurde. Quelle: USCC.gov, 06/2026

[50]   Quelle : MacauBusiness, 10/04/2021

[51]   Quelle: CLBrief, 12/06/2020

[52]   Wie zufällig scheint Bolsonaro gerade zu Putin Beziehungen zu entwickeln. Quelle: MercoPress, 16/06/2020

[53]   … dessen notorisch anti-chinesischer Außenminister gerade zurückgetreten ist. Quelle: The Guardian, 29/03/2021

[54]   Quelle: WallStreetJournal, 03/01/2021

[55]   Quelle: Wikipedia

[56]   Quelle: DefenceWorld, 03/04/2021

[57]   Quelle: Texas National Security Review, 05/2018

[58]   Ein guter Artikel zu diesem Thema. Quelle: Vox, 13/04/2021

[59]   Quelle: The Times, 06/01/2021

[60]   Quelle: Politico, 29/12/2020

[61]   Zumindest legt das das sehr renommierte Nikkei Asia nahe. Quelle: NikkeiAsia, 10/04/2021

[62]   Quelle: AP, 04/10/2019

[63]   Quelle: GEAB, 15/09/2016

[64]   Quelle: Euractiv, 25/03/2021

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Zusammenfassung

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Bei seinem Gegenangriff kann das amerikanische e-Imperium seine Waffe der Wahl nicht ignorieren: den Dollar. Es ist unmöglich, die amerikanische Macht und ihre Herrschaft über das globale System neu zu [...]

GEAB
15 Mrz 2024

Investitionen, Trends und Empfehlungen (mar)

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Der Krieg hat noch viele Tage vor sich Im Einklang mit unserem Artikel über Europa und die Ukraine sind wir der Ansicht, dass die Rüstungsindustrie noch lange und gute Tage [...]