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GEAB 147

Der monatliche Informationsbrief des Laboratoire européen d'Anticipation Politique (LEAP) - 15 Sep 2020

2021 – Die Jugendrevolutionen

Mit der Corona-Krise rutscht die Welt in die Zukunft. Dies gilt an absolut allen Fronten und die Aufgabe der Beobachtung des immensen gesellschaftlichen Wandels ist erheblich komplizierter geworden.

Auf den rund dreißig Seiten dieser Ausgabe werden die herausragenden Themen, wie die unregulierte (private) Kolonisierung des Weltraums und die damit verbundenen immensen Risiken oder die Umwälzungen der Nahrungsmittelproduktion als Bestandteile der neuen Welt, die 2020 Gestalt annimmt, behandelt.

Aber wir dürfen nicht vergessen, dass sich dieser Wandel auch im Rahmen eines Übergangs in der menschlichen Gesellschaft vollzieht, verkörpert durch den Aufstieg der jüngeren Generationen als entscheidende Kraft. Und es ist darüber hinaus in diesem Jahr symbolisch, dass die Vereinigten Staaten melden, dass die Millenials die Babyboomer als zahlenmäßig größte Generation der Geschichte überholen[1].

Wir haben uns entschieden, diese Ausgabe mit diesem, sich ebenfalls beschleunigenden Trend einzuleiten, weil er aus systemischer Sicht zentral ist, aber auch, weil er sich viel schmerzhafter ausspielen könnte, als das, was das Wort „Jugend“ gewöhnlich als optimistische Sichtweise suggeriert.

Aber die aufstrebende Generation ist schlicht auch ein Produkt des sterbenden Systems und seiner Mängel und sie wird viel Mut, Intelligenz und zweifellos auch Realitätsschocks brauchen, damit es ihr gelingt, ihre vielen Behinderungen zu überwinden und sich des sich ihr öffnenden Raums zu bemächtigen.

Beschleunigung des großen Generationswechsels

Die asymmetrische Natur eines Virus, der für die Jungen nur eine Anekdote, für die Älteren aber tödlich ist, löst (zusätzlich zu all den anderen Trennlinien) ein starkes Phänomen des Generationenbruchs der Gesellschaft aus.

Babyboomer: Corona macht damit eine Realität sichtbar, die vorher schon existierte: Die sehr zahlreiche Generation der Babyboomer tritt in eine Phase des Verschwindens ein. Ihre Angehörigen sind zwischen 1946 und 1964 geboren und heute zwischen 56 und 74 Jahre alt. Bei einer Lebenserwartung von 77,8 Jahren für Männer und 83,3 Jahren für Frauen in Europa kann man leicht verstehen, dass die ältesten in eine Zeit eintreten, in der die Risiken gesundheitlicher Komplikationen immer spürbarer werden[2]. Das Coronavirus beschleunigt bestimmte Parameter, da es ab dem Alter von 60/65 Jahren tatsächlich tödlich sein kann.

Abbildung 1  – Lebenserwartung in der EU27, 2002-2018 – Frauen (blau)/Männer (orange) . Quelle: Eurostat

Tatsächlich kann der Anstieg der altersbedingten Sterblichkeit dieser riesigen Generation seit 2005 immer weniger übersehen werden[3]. Während über die Kosten der Renten/Pensionen der Babyboomer für die Gesellschaft viel gesprochen wurde, sollte vielleicht mehr über die Kosten und den Umstellungsaufwand für die zunehmend notwendige Pflege in ihren letzten Lebensjahren diskutiert werden[4]. So haben unseres Erachtens beispielsweise die bereits an den Grenzen ihrer Aufnahmekapazität stehenden Pflegeeinrichtungen und Krankenhäuser[5] stark zu dem Panikmodus beigetragen, den die Staaten angesichts der durch Corona angekündigten Welle der Übersterblichkeit ausgelöst haben[6].

Das Coronavirus hat somit einen wichtigen Aspekt der gesellschaftlichen Entwicklung offenbart: das allmähliche, aber anhaltende Verschwinden der monolithischen Generation, die die letzten 60 Jahre dominiert hat: die Babyboomer.

Generation X: Hinzu kommt aber noch ein zweites Phänomen, nämlich die Rückzugtendenz der nächsten Generation, dieser oft diskutierten Generation X (der jetzt etwa Fünfzigjährigen), von der wir oft als fehlendes Kettenglied sprechen, einer zahlenmäßig von der vorhergehenden erdrückten Generation, die die Corona-Krise nutzt, um das Handtuch zu werfen und gewissermaßen in den Vorruhestand zu gehen.

Sicherlich berühren die durch die Corona-Krise verursachten Entlassungen alle Arbeitnehmer unabhängig von ihrem Alter, aber die Erkenntnis des Bedeutungsverlusts des Arbeitsplatzes betreffen laut dieser amerikanischen Umfrage vor allem die Millenials und die Generation X[7]. Der Unterschied zwischen den beiden Generationen besteht darin, dass die jüngeren ihren Arbeitsplatz verlassen, um ihr Unternehmen zu gründen oder die Branche zu wechseln, während die etwas älteren abschalten[8].

Dieses Phänomen war auch schon vor der Corona-Krise im Keim vorhanden, diese hat es nur verstärkt. Burn-Out-Erscheinungen bei einer alternden Generation X[9], der in einer Gesellschaft, die sie nicht nach ihren eigenen Merkmalen und Bestrebungen entwickeln konnte, nur eine sekundäre Rolle zugewiesen wurde, führen heute zu dieser Welle des Aufbruchs in ein neues Leben des Rückzugs ins Grüne[10].

Millenials und Z: Was die jüngeren Generationen betrifft, so haben sie allen Grund, sich zu empören.

Während sie für die älteren Generationen gerechtfertigt sind, machen die Maßnahmen gegen die Ansteckung für junge Menschen, die von der Krankheit nur am Rande betroffen zu sein scheinen, keinen Sinn. Die moralische Schuld gegenüber Jungen, die angesichts der Höhe der auf ihren Schultern lastenden Finanzschulden[11] und des Umfangs der vor ihnen liegenden Wiederaufbauarbeiten[12] ohnehin schon hoch ist, hat daher noch weiter zugenommen[13].

Sie bewiesen in der ersten Jahreshälfte Geduld, doch wir konnten in diesem Sommer den Beginn einer Rebellion beobachten, in der die Jungen verständlicherweise Schwierigkeiten hatten, das Verbot von Zusammenkünften und die Schließung von Clubs einzuhalten[14]. Diejenigen Behörden – vor allem die lokalen -, die zögern, als Reaktion auf den Anstieg der Ansteckungsfälle wieder allzu restriktive Maßnahmen aufzunehmen/anzuwenden, irren sich nicht[15].

In der Tat antizipieren wir, dass eine Jugend, deren Zukunft teilweise auf dem Altar der alternden Generationen geopfert zu werden scheint, anfangen wird zu murren und sich zu weigern, den Anweisungen zu folgen, und die unbestreitbar legitime Botschaft auszusenden: „Isoliert euch, wenn ihr wollt, aber zwingt uns nicht, uns mit euch zu isolieren!“.

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Zusammenfassung

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