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GEAB Sonderausgabe

Der monatliche Informationsbrief des Laboratoire européen d'Anticipation Politique (LEAP) - 14 Aug 2020

2014-2020: Das mutierte Europa

Die Covid-Krise erlaubt es der EU endlich, mit der Ausgabe von Gemeinschaftsschulden zu beginnen. Es war ein bescheidener und hart erkämpfter Schritt nach vorn. Inmitten der Flammen brauchten die Feuerwehrleute trotzdem 5 Tage, um den Entschluss zu fassen, den großen Feuerwehrschlauch einzusetzen. Das sagt viel über den Grad der Spaltung und Uneinigkeit unter den 27 und über die Notwendigkeit einer Reform der so genannten „Gemeinschaftsmethode“ aus.

In diesem Kontext haben wir „Europäische Governance“ als Thema für den Archiv-Rückblick unserer August-Sonderausgabe ausgewählt. Wir setzen 2014 als den Beginn der Phase der Mutation Europas an. Die Krise zwischen Europa und Russland, die dieses Jahr kennzeichnet, hat den ablaufenden komplexen und multifaktoriellen Prozess erheblich beschleunigt. Dieser ist ein Prozess der Zersplitterung, der einhergeht mit dem Aufkommen von Nationalismen, die in der Folge insbesondere zum Ausscheiden Großbritanniens führen.

Der rote Faden, der sich durch unsere Analysen der Transformation der EU zieht, ist ihre (erneute) Politisierung durch die einzige Ebene, die man dafür als legitim ansehen kann: die Ebene der Nationalstaaten – in einem ersten Schritt.  Aber die Originalität unserer Analyse besteht darin, von Anfang an zu festzustellen, dass die nationalistischen „Populisten“ bald eine zweifache Entwicklung durchmachen werden: einerseits die Übernahme ihrer Thesen durch alle politischen Parteien, vor allem durch die traditionelle Rechte; und andererseits ihr zunehmendes Bündnis auf europäischer Ebene, der Machtebene, die viel interessanter ist als die Ebene der Nationalstaaten.

Auch wenn die Souveränisten derzeit nicht so laut auftreten, so stellen sie doch 17% des Europäischen Parlaments, ohne diejenigen, die genau betrachtet ihre Ideen in der EVP teilen, und sie befinden sich mitten in einem Prozess der Gentrifizierung und Europäisierung, wie es das Paar Maréchal-Sofo[1] zeigt. Vorbei sind die Zeiten exzentrischer Sturmfrisuren und abstoßender äußerer Signale.

Die gigantische, durch Covid ausgelöste Wirtschaftskrise wird auch auf Europa durchschlagen und es ist kein Zufall, dass der zentristische Macron eine Regierung ernannt hat, die aus Hardlinern der Sarkozy-Rechten besteht[2]. Aber wir haben noch nichts von dem gesehen, was das Europäische Parlament anstelle eines transeuropäischen politischen Willens hervorbringen könnte[3]

Tatsache ist, dass die „historischen“ Verhandlungen des EU-Rates angesichts der Wucht des aufziehenden Sturms ziemlich lächerlich[4] aussehen …

Die erneute Lektüre dieser GEAB-Auszüge, die unser Team für diese Sonderausgabe ausgewählt hat, hilft, die von allen antizipierten Governance-Schocks in den richtigen historischen Zusammenhang zu stellen.

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[1]  Quellen: Le Parisien, 18/05/2019 (für die Europäisierung); Valeurs Actuelles, 25/07/2020 (für die Gentrifizierung)

[2]  Quelle: RTL, 07/07/2020

[3]  Quelle: Europäisches Parlament, 21/07/2020

[4]  Während sich die Europäer damit abplagen, sich über eine Kreditaufnahme von 750 Milliarden zu verständigen, um eine Volkswirtschaft von 500 Millionen Menschen wieder in Gang zu bringen, stellen die Chinesen einen Scheck über 400 Milliarden aus, allein um die Ölindustrie des Iran wieder in Gang zu setzen. Quelle: LiveMint, 15/07/2020

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Zusammenfassung

Ausnahmsweise hat die GEAB-Redaktion entschieden, ihren Lesern einen Auszug aus dem unveröffentlichten Text „ Communauté ou Empire“ (Gemeinschaft oder Imperium) von Franck Biancheri aus dem Jahr 1992 zugänglich zu machen. [...]

Es ist schon lange her, es war 1998, da schrieb Franck Biancheri, unser verstorbener Studienleiter, einen Antizipations-Artikel mit dem Titel „2009, wenn die Enkel von Hitler,  Pétain, Mussolini ... die [...]

Seit es den GEAB gibt, hat er sich zur besonderen Aufgabe gesetzt, die europäischen öffentlichen Meinungen und Entscheider zu warnen, dass die derzeitige immense globale geopolitische Neuausrichtung auch für die [...]

Diese Antizipation ist nicht sehr originell, aber sie muss trotzdem mit aller gebotenen Klarheit formuliert werden. Es handelt sich weniger um eine Hypothese, sondern eher schon um eine Gewissheit: eine [...]

Die Finanzkrise und die folgende Schuldenkrise haben zu einer substantiellen Veränderung des Mandats der EZB geführt, und zwar in der Praxis zu einer politischeren Ausrichtung dieses Mandats. Die EZB hat [...]

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