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Der monatliche Informationsbrief des Laboratoire européen d'Anticipation Politique (LEAP) - 15 Apr 2023
Pressemitteilung

Seit 17 Jahren beschreibt der GEAB das Stadium, in dem sich der Prozess des globalen systemischen Übergangs gerade befindet. In diesem April 2023 ist es ganz klar, dass die „neue Welt“ (angeführt von den BRICS) nach ihrem langsamen und unsicheren Start vor fast 15 Jahren nun ihre Flugphase einleitet.

Die neue Welt wirft die Stufen ab, die sie gleichzeitig ernährt und am Boden gehalten haben (Westen, Dollar, westliche Tech-Branche, …) und emanzipiert sich von der alten, die ihren eigenen Wandel vorantreiben muss, bevor sie sich ihrerseits in die Lüfte erheben kann.

Die jüngsten Nachrichten sind in der Tat voll von wichtigen Ereignissen, sich schnell entwickelnde Folgen der enormen Anziehungskraft der BRICS: Die BRICS haben die G7 beim BIP überholt (31,5% vs. 30,7% des Welt-BIP)[1]; Jim O’Neill (ehemals Goldman Sachs) fordert die BRICS auf, der Dominanz des Dollars im Weltwährungssystem entgegenzuwirken[2]; Saudi-Arabien (bis vor kurzem noch die Stütze des Petrodollars) tritt der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit bei[3]; China taucht als hoffnungsvoller geopolitischer Akteur mit dem Ziel der Beendigung der Ukraine-Krise auf[4]; Saudi-Arabien und der Iran nehmen wieder diplomatische Beziehungen auf und wecken damit die Hoffnung auf eine Lösung des Jemen-Krieges[5]; China hält sein zweites Internationales Demokratieforum ab (und der Westen sollte sich sein hämisches Lachen verkneifen, wenn er will, dass der Rest der Welt sich in dieser Frage weiterhin für interessiert)[6]; Brasilien und China festigen ihre Annäherung mit einem Besuch Lulas in Peking[7]; Gerüchten zufolge bereiten die BRICS die Einführung einer auf Gold und anderen Rohstoffen basierenden Handelswährung vor[8]; der Yuan löst den Dollar als Russlands meistgehandelte Währung ab[9]; Japan umgeht die Regeln der G7, um russisches Öl kaufen zu können[10]; Indien widersetzt sich den Sanktionen und kauft mehr russisches Öl als je zuvor[11] … Die Liste ließe sich endlos fortsetzen und veranschaulicht, wie schnell und stark sich die BRICS-Dynamik jetzt durchsetzt, eine Dynamik in Richtung Wohlstand, die von den Akteuren, die sich am freiesten bewegen können, klar erkannt wird. Im Januar schrieben wir, dass China aus seiner dreijährigen Pause erwachen würde[12]. Wir dachten nicht, dass wir so richtig liegen würden.

Auf westlicher Seite rufen die pragmatischsten Interessen dazu auf, auf diese globalen Transformationenergien zu schauen: Neben dem Appell von Jim O’Neill und ist eine intensive Geschäftsreisetätigkeit durch die Elite der westlichen Unternehmen[13] und der Finanzindustrie[14] in Richtung Peking zu beobachten, mit oder ohne ihre jeweiligen Staatschefs (Macron[15], Scholz[16], Sanchez[17] …).

Aber die schwerfällige westliche Superstruktur bleibt am Boden kleben: zu schwer, zu viel zu verlieren, zu verstrickt (too big to move). Eine Bankenkrise jagt die nächste und erfasst einen Teil des amerikanischen Technologiesektors (SVB), das Schweiz-zentrierte Bankensystem (Credit Suisse) und in logischer Folge wohl bald auch überschuldete Zentralbanken und souveräne Staaten.

Im Zentrum dieses Erdbebens steht das Ende der weltweiten Hegemonie des Dollars, wie wir in dieser Ausgabe sehen werden. Es ist eine Trendwende von ungeahnter Heftigkeit, auf die sich die BRICS seit 15 Jahren vorbereiten, während die erratischen Bemühungen Europas und der USA, mit der Entwicklung Schritt zu halten, wenig gebracht haben.

Die Unfähigkeit des Westens, sich aus dem Krieg in der Ukraine zu befreien, führt zu einem Massenexodus von allem, was sich bewegen kann: die Kunden ziehen ihre Guthaben aus einem veralteten Bankensystem ab[18]; selbst auf die Gefahr hin, 1 Milliarde Dollar zu verlieren, zieht sich Saudi-Arabien aus der Credit Suisse zurück und verursacht damit deren Zusammenbruch[19]; die Senegalesen brennen französische Supermärkte und Tankstellen nieder[20]; die Afrikaner warnen den Westen vor seiner üblichen Herablassung[21] … Es beginnt eine gigantische Flucht aus dem westlichen System, die der GEAB vor zwei Jahren beschrieben hat[22].

Die Schockstarre des Westens wird angesichts eines solchen Zusammenbruchs aller seiner Gewissheiten zunächst dazu führen, dass er seine Reihen noch enger schließt. Dieser Schulterschluss wird jedoch den Prozess der Abwanderung beschleunigen, sei es der freiesten Akteure wie Unternehmen und kleine Staaten (Schweiz) oder im Gegenteil der Abhängigsten wie die am höchsten verschuldeten Staaten, die sich mit der Aussicht auf Staatsbankrott konfrontiert sehen (Italien, Frankreich, … und warum eigentlich nicht auch die USA). Selbst Osteuropa wird sich allmählich der Gefahr der Kristallisierung einer Konfrontation mit dem russischen Nachbarn bewusst (die Spannungen zwischen Polen und der Ukraine nehmen zu[23], die Slowaken zeigen ihre pro-slawische DNA[24], die Bulgaren stimmen bei den letzten Wahlen für eine pro-russische Partei[25], …). Und trotz eines gewissen Rückgangs des Ansehens Chinas in Osteuropa[26] antizipieren wir, dass der wirtschaftliche Pragmatismus in Verbindung mit dem Fehlen einer schmerzhaften Geschichte mit dem Reich der Mitte die pro-taiwanesischen Töne dieser Region bald abschwächen wird.

Der französische Präsident hat unlängst deutlich gemacht, dass es sich die europäische Wirtschaft nicht leisten könne, einem Sanktionsregime gegen China zu folgen, da die Konfrontation mit Russland bereits großen Schaden angerichtet habe[27]. Auch wenn Frankreich aufgrund dieser Äußerungen in den kommenden Wochen einige Vergeltungsmaßnahmen zu spüren bekommen könnte, zeigt die Tatsache, dass Macron dieses Risiko eingeht, wie lebenswichtig es für Frankreich ist, sich nicht länger in der Falle der Kriege anderer fangen zu lassen.

Einige westliche ideologische Instanzen, die sich von den menschlichen und wirtschaftlichen Realitäten abgekoppelt haben, werden noch eine Weile erfolgreich die Hetze gegen die „Neue Welt“ dominieren, die Europäische Kommission und die von der NATO geführte transatlantische Achse. Aber auf das Doppelwahljahr 2024 (USA und EU) kann man den Anfang vom Ende der westlichen Superstrukturen datieren, die entweder unter dem Eindruck eines Krieges zusammenbrechen werden (hartes Szenario des Wandels) oder sich unter dem Eindruck der Infragestellung durch ihre Mitglieder verändern werden (weiches Szenario des Wandels) – eine Infragestellung, die sich möglicherweise mit großer Wucht auf die demokratische Legitimität dieser Institutionen richten wird …

Dann sind die Voraussetzungen gegeben für einen Wandel, der von den Akteuren angeführt wird, die am stärksten in der Realität verankert sind, nämlich den Staaten, die aufgerufen sind, ein neues System auf der Grundlage des Paares Ressourcen und Währungen zu begründen[28].

Und die alte Welt kann sich, befreit von den Strukturen der Vergangenheit, „ihrerseits in die Lüfte erheben“.

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______________________

[1]Quelle: Watcher Guru, 08/04/2023

[2]Quelle: Bloomberg, 28/03/2023

[3]Quelle: OilPrice, 04/04/2023

[4]Quelle: CNN, 07.04.2023

[5]Quelle: AP, 09/04/2023

[6]Quelle: AfricaNews, 27/03/2023

[7]Quelle: Reuters, 11/04/2023

[8]Quelle: IndiaTimes, 04/04/2023

[9]Quelle: Bloomberg, 03/04/2023

[10]Quelle: Wall Street Journal, 02/04/2023

[11]Quelle: NPR, 20/03/2023

[12]Quelle: GEAB, 15/01/2023

[13]Quelle: WSJ, 12/02/2023

[14]Quelle: Reuters, 31/03/2023

[15]Quelle: Foreign Policy, 05/04/2023

[16]Quelle: TheEconomist, 02/11/2022

[17]Quelle: MFA China, 31/03/2023

[18]Quelle: WSJ, 24/01/2023

[19]Quelle: CNBC, 20/03/2023

[20]Quelle: Trendtype, 11/03/2023

[21]Quelle: GIS, 04/04/2023

[22]Quelle: GEAB, 15/04/2021

[23]Quelle: PBS, 17/02/2023

[24]Quelle: Euractiv, 15/09/2022

[25]Quelle: FT, 02/04/2023

[26]Quelle: WPR, 11/01/2023

[27]Quelle: The Guardian, 10/04/2023

[28]Auf der Grundlage dieses Paares kann man die zentrale Rolle, die die Eurozone spielen sollte, antizipieren.

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Zusammenfassung

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